Pfingstlicher Glaube
An Pfingsten wurden die Apostel mit dem Hl. Geist erfüllt, die Kirche entstand als geistdurchwirkte Gemeinschaft. Der Geist Gottes bewegt, inspiriert, verwandelt, treibt voran. Daher ist Glaube geistgewirkt, wenn er sich entwickelt und dem Beziehungeschehen Raum gibt. Der tschechische Theologe und Soziologe Tomáš Halík schreibt in seinem Buch “Der Nachmittag des Christentums”: “[Die Beziehung zu Gott] ist nicht nur ein Akt des Erkennens und Verstehens von unserer Seite, sondern auch eine Begegnung, bei der Gott uns annimmt. Diese gegenseitige Annahme Gottes und des Menschen ist kein einmaliger Akt, es ist eine Geschichte, ein Handeln, das sich entwickelt.”
Daher verändert sich der Glaube in unserem Leben immer wieder, ja muss sich verändern, weil wir Beziehungswesen sind und Gott in seinem Sohn mit uns in Beziehung getreten ist und immer neu tritt. Damit wird deutlich, dass Glaube nicht einfach in Stein gemeisselt ist, auch Kirche und Tradition nichts Unverrückbares sind, sondern sich “in Bewegung einer ständigen Rekontextualisierung und Reinterpretation” (Halík) befinden.
Dieses Glaubensverständnis fordert uns permanent heraus, weil wir stets neue Entscheidungen fällen und Glaubensschritte machen müssen und uns nicht auf Gesetz und Gebot allein beziehen können. Das setzt einen Glauben voraus, der reift, ähnlich wie unsere Persönlichkeit, denn er sieht sich unentwegt mit einer herausfordernden und vielfältigen Welt und Kirche konfrontiert. Klaus Baumann, Professor für Caritaswissenschaft in Freiburg, beschreibt in seinem erhellenden Artikel “Was macht einen reifen Menschen aus?” (Zeitschrift Psychotherapie & Seelsorge, 03.2019), wie der Mensch zu verschiedenen Ich-Zuständen Zugang finden muss, um sich in einer oft widersprüchlichen Welt zurechtzufinden: “Damit verbunden ist auch die Fähigkeit, widersprüchliche Aspekte bzw. Ich-Zustände wichtiger Bezugspersonen miteinander so zu integrieren, dass es Ambivalenzen im Selbst und im andern aushält”. Nur wenn es uns gelingt, Ambivalenzen auch in der Kirche und in unseren Pfarreien auszuhalten, halten wir den Glauben in uns lebendig.
Der 1991 verstorbene Kardinal und Theologe Henri de Lubac hat viel über den Hl. Geist geforscht. Er schrieb einmal: “Wenn der Hl. Geist fehlt, dann wird das Dogma zum Mythos und die Kirche wird zur Partei.” Dogma und Kirche werden, wenn sie sich nicht vom Geist bewegen lassen und sich nicht immer neu mit den konkreten Umständen und konkreten Menschen beschäftigen, versteinern und in die Bedeutungslosigkeit versinken. Verharren wir in einem Glauben, in dem alles klar ist, weil wir ja die Wahrheit nicht nur kennen, sondern haben und verwalten, dann stirbt der Glaube und die Kirche wird zur bedeutungslosen Partei. Der Hl. Geist öffnet Räume und ruft zur Entscheidung, so dass wir uns nicht hinter Mauern und Glaubenssätzen verstecken können, sondern immer neu den Glauben wagen müssen. Da, wo wir suchen und ringen und oftmals auch irren, begleitet uns der Geist Gottes und führt letztlich alles zu einem guten Ende. Wir dürfen auch heute noch darauf vertrauen, dass der Geist in uns und in der Kirche wirkt. Aber er bewahrt uns nicht davor, immer wieder mühselig (Glaubens-)Entscheidungen zu fällen, oft begleitet von Unsicherheit und Zweifeln. Ein religiöser Mensch ist einer, der Fragen hat und sucht, nicht der die Antwort kennt, bevor die Frage überhaupt gestellt wurde.
Pfarrer Andreas Rellstab